Seit einigen Jahren beobachten Fachleute einen konstanten Anstieg des Alkoholkonsums bei Frauen. Das Faktum, dass Frauen spezifische Konsummuster aufweisen, ist nicht neu, allerdings geben die Menge des konsumierten Alkohols und die speziell auf Frauen fokussierten Marketing-Strategien Anlass zur Sorge.
“Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör!” Diesen Spruch der Frommen Helene legt Wilhelm Busch nicht zufällig einer Frau in den Mund, gilt Likör doch primär als typisches Frauengetränk. Die Merkmale des weiblichen Alkoholkonsums haben sich in den letzten Jahrzehnten gravierend verändert, Mediziner*innen und Therapeut*innen verweisen auf den steigenden Alkoholkonsum bei Frauen und auch auf die zunehmende Zahl weiblicher Klientinnen, die Beratung oder Therapie benötigen.
Spezifika des weiblichen Alkoholkonsums
Um das Trinkverhalten von Frauen – auch während der COVID-Pandemie – besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die jüngere Geschichte. Während es in früheren Jahrhunderten für Frauen sozial wenig akzeptiert war in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken, bürgerte es sich mit deren zunehmender wirtschaftlicher Unabhängigkeit ein, den Alkoholkonsum als Errungenschaft fortschreitender Emanzipation zu feiern. Bald erkannte auch die Alkoholindustrie die gewinnbringenden Chancen für Absatzsteigerungen und nützte diese sehr professionell und effizient, wie Eva Biringer in ihrem neuesten Buch „Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen“ (2022) eindrucksvoll darstellt: „Die Liste der vermeintlichen Frauenalkoholika ist lang und pastellfarben: Erdbeersekt, Rotkäppchen halbtrocken, Maibowle mit Beereneiswürfeln, ein leichter Rosé (…). Bei Tikki-Cocktails wie Mai Tai, Pina Colada, Sex on the Beach und Tequila Sunrise ist das Urlaubsgefühl inklusive, was praktisch ist, wenn sich der Alltag durch die verglichen mit Männern mehr als doppelte Menge Care-Arbeit so gar nicht nach Strandliege anfühlt.‘“
Wie Eva Biringer thematisieren auch die Amerikanerin Kristi Coulter und eine ganze Reihe anderer, meist sehr gut ausgebildeter und erfolgreicher Frauen, ihr eigenes problematisches Verhältnis zum Alkohol, das seinen Ursprung häufig bereits in jungen Jahren hatte. Sie betonen einhellig, dass der positive Aspekt, dass Frauen nun mit dem gleichen Recht wie Männer in der Öffentlichkeit Alkohol konsumieren, einen unangenehmen Beigeschmack habe: So würden die Alkoholindustrie und auch Medien diesen Trend gezielt dazu benützen, weibliches Trinken als attraktiv und als Zeichen für Erfolg und Emanzipation darzustellen. Tatsächlich aber seien vor allem die Motive, warum Frauen trinken, häufig in erster Linie jene, um besser zu funktionieren und Mehrfachbelastungen besser zu ertragen.
Auch hinsichtlich der Verteilung weiblichen Alkoholkonsums nach Alter und Bildungsgrad ergeben sich interessante Erkenntnisse: Bei Frauen mit mittlerem oder höherem Bildungsgrad zwischen 30 und 44 Jahren weist ein fast doppelt so hoher Prozentsatz (nämlich 21%) ein riskantes Trinkverhalten auf, wie im Vergleich zu jenen Frauen derselben Alterskategorie, jedoch mit niedrigem Bildungsabschluss; hier sind es „nur“ 12%.
Frauen während der Pandemie besonders belastet
Insbesondere waren es – neben Kindern und Jugendlichen – viele Frauen, die während der COVID-Pandemie in einem hohen Ausmaß belastet waren, vor allem jene mit Kindern. Bereits im Juni 2020 widmete sich die Süddeutsche Zeitung dem Netz-Phänomen der so genannten „Wine-Mom.“ Dieses hatte es zwar schon vor der Pandemie gegeben, es verzeichnete jedoch mit Beginn der COVID-Krise einen starken Anstieg an Follower*innen bzw. Mitgliedern. Die zentrale und frohe Botschaft all dieser – für manche lustigen – Clips: „Mit Alkohol geht alles leichter“. So stieg beispielsweise tatsächlich während der Coronakrise die Rate an Müttern, die Alkohol in gesundheitsschädigendem Ausmaß tranken, in den USA um 323 Prozent.
Bis heute ist einer der Hauptgründe für weiblichen Alkoholmissbrauch der Wunsch nach Angepasstheit, Leistungssteigerung und Funktionieren. Aussagen von Betroffenen in Frauengruppen der Anonymen Alkoholiker belegen, dass am Beginn eines problematischen und oftmals heimlichen Konsums Überforderung, Stress und Mehrfachbelastungen stehen. Genau deshalb jedoch sind jene Gruppen, wie die bereits erwähnten „Wine-Moms“, oder Facebook-Gruppen, wie „Mommy needs Vodka“ (mit mittlerweile über 5 Millionen Follower*innen), nicht nur als lustige Plattformen zu bewerten, da sie als Bewältigungsstrategie für Überforderung Alkoholkonsum suggerieren. Sie treffen in erster Linie einen wunden Punkt in unserer Gesellschaft. Und überdies haben sie ganz nebenbei einen mittlerweile gut florierenden „Mommy needs Vodka“-Shop aufgebaut, der mit Logo oder halblustigen Sprüchen wie „Hakuna ma Vodka“ verzierte Taschen, T‑Shirts oder Jogging-Hosen vertreibt.
Frauen vertragen Alkohol schlechter
Häufig wird übersehen, dass Frauen Alkohol schlechter als Männer vertragen, und zwar u.a. aus folgenden Gründen:
- Ihr Anteil an Körperwasser ist aufgrund des geringeren Muskelvolumens geringer, durch den höheren Körperfettanteil bauen Frauen Alkohol schlechter ab.
- Sie werden rascher abhängig, vor allem deshalb, weil sie häufig das so genannte „Wirkungstrinken“ praktizieren, d.h. sie konsumieren Alkohol, um besser zu funktionieren oder Stress abzubauen.
- Frauen, die Alkohol trinken, haben ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko (insbesondere für Brustkrebs), auch bei nur geringen Mengen an alkoholischen Getränken.
Die von der University of Washington durchgeführte Global Burden of Diseases Study kommt daher insbesondere Frauen betreffend zu folgendem Ergebnis: „Die meisten nationalen Richtlinien legen nahe, dass ein oder zwei Gläser Wein pro Tag der Gesundheit zuträglich sind. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das sicherste Maß an Alkoholkonsum keines ist.“
Diese Erkenntnisse, insbesondere spezielle Problematiken wie Alkoholkonsum während der Schwangerschaft oder die Berücksichtigung der typischen Motive, warum Frauen Alkohol missbräuchlich konsumieren, erfordern eigene Zugänge in der Prävention und Therapie. Dazu liegen wissenschaftliche Untersuchungen vor, die teilweise in der Praxis bereits berücksichtigt werden. Dennoch wäre es wünschenswert, den geschlechtsspezifischen Aspekt des weiblichen Alkoholkonsums noch stärker in Prävention und Therapie, aber auch im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern.
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AUTORIN
Anton-Proksch-Institut in Wien. Informationen zum Thema Alkoholsucht und deren Therapie. Verfügbar unter: https://www.api.or.at/sucht-abhaengigkeit/alkoholsucht/
Biringer, Eva (2022): Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen. HarperCollins. Hamburg.
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Brühl, Jannis (2015): Saufen und Glück. Streitgespräch zwischen Robert Pfaller und Daniel Schreiber. Kölner Philosophie-Festival 2015. In: Süddeutsche Zeitung (03.06.2015). Verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/koelner-philosophiefestival-saufen-und-glueck‑1.2505366
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Dialogwoche Alkohol (Österreichischen ARGE Suchtvorbeugung in Kooperation mit dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und der Gesundheit Österreich GmbH.). Materialien zum Thema Alkoholkonsum in Österreich. Verfügbar unter: https://www.dialogwoche-alkohol.at/wissen/zahlen-fakten/
Dialogwoche Alkohol. Alkohol in Krisenzeiten. Factsheet. Verfügbar unter: https://www.dialogwoche-alkohol.at/alkohol-in-krisenzeiten/
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Online-Vortrag des Vereins Dialog vom 09.05.2022 „Ein Glaserl zu viel – Wenn der Konsum entgleist“.