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Im Rah­men einer Tagung am 25. 10. 2024, ver­an­stal­tet von der Abtei­lung Sozia­les und Gene­ra­tio­nen­för­de­rung des Lan­des NÖ, beleuch­te­ten vier Sexualpädagog*innen in auf­ein­an­der auf­bau­en­den Vor­trä­gen die­ses span­nen­de The­ma der sexu­al­päd­ago­gi­schen Kon­zep­te in der Behin­der­ten­hil­fe. Die Ver­an­stal­tung stieß auf enor­mes Inter­es­se sei­tens der Behindertenbetreuer*innen und der Füh­rungs­kräf­te ver­schie­de­ner Ein­rich­tun­gen der Behin­der­ten­hil­fe. Die vie­len Besucher*innen füll­ten den Platz bis in die letz­te Rei­he und unter­stri­chen damit die Wich­tig­keit des Themas.

Men­schen mit Behin­de­rung sind nach wie vor in hohem Aus­maß von sexu­el­ler Gewalt betrof­fen. Unter Prä­ven­ti­on ver­ste­hen wir Schutz, Vor­beu­gung und Auf­klä­rung. Der bes­te Schutz ist dann gege­ben, wenn offen über Sexua­li­tät und sexu­el­le Gewalt gespro­chen wird. Men­schen mit Behin­de­rung feh­len jedoch oft das not­wen­di­ge Wis­sen, Infor­ma­tio­nen und die Spra­che, um über ihren eige­nen Kör­per und ihre Sexua­li­tät spre­chen und Gefüh­le benen­nen zu kön­nen. Um Situa­tio­nen pro­fes­sio­nell zu begeg­nen, sowie um Prä­ven­ti­on von sexu­el­ler Gewalt struk­tu­rell in den Ein­rich­tun­gen zu ver­an­kern, emp­fiehlt sich eine ver­tie­fen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit Sexu­al­päd­ago­gik im Rah­men der Erar­bei­tung eines sexu­al­päd­ago­gi­schen Kon­zep­tes. Sexu­al­päd­ago­gik bil­det die Grund­la­ge, um wirk­sam Prä­ven­ti­ons­ar­beit vor sexu­el­ler Gewalt zu leisten.

Um Ihnen einen klei­nen Ein­blick in die Tagung zu gewäh­ren, hier eine Zusam­men­fas­sung der Inhal­te der vier span­nen­den Vor­trä­ge, abge­hal­ten von sexu­al­päd­ago­gi­schen Referent*innen der Fach­stel­le NÖ:

„Sexua­li­tät von Men­schen mit Beein­träch­ti­gung“ von Kat­rin Lehner

Die sexu­el­le Ent­wick­lung von uns Men­schen ist ein kom­ple­xes Feld, wel­ches indi­vi­du­el­le Bedürf­nis­se und gesell­schaft­li­che Nor­men umfasst. Jeder Mensch hat das Recht auf Sexua­li­tät, unab­hän­gig von kör­per­li­chen, kogni­ti­ven oder psy­chi­schen Ein­schrän­kun­gen. Sexua­li­tät wird durch das sozia­le Umfeld geprägt und ent­wi­ckelt sich über die gesam­te Lebens­span­ne. Die Sexua­li­tät jedes Men­schen ist so alt wie der Mensch selbst, egal ob mit oder ohne Behin­de­rung, dies von Geburt an. Men­schen mit Behin­de­rung oder Beein­träch­ti­gung sehen sich häu­fig mit den unter­schied­lichs­ten Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert, wie dem Erhalt von Inti­mi­tät und der Kom­mu­ni­ka­ti­on ihrer Bedürf­nis­se. Es ist wich­tig zu beto­nen, dass es sich hier­bei kei­nes­falls um eine „Son­der­se­xua­li­tät“ handelt.

Men­schen mit Behin­de­rung sehen sich häu­fig mit einer Viel­zahl an Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert. Dazu gehö­ren unter anderem:

  • Schwie­rig­kei­ten bei Selbst­stän­dig­keit und Selbstbestimmung
  • Mög­li­cher Kinderwunsch
  • Bezie­hungs­ent­wick­lung (beson­ders im Kon­text voll­be­treu­ten Wohnens)
  • Kom­mu­ni­ka­ti­ons­her­aus­for­de­run­gen (ver­bal und nonverbal)
  • Nor­men und Erwar­tun­gen des sozia­len Umfelds
  • Sexu­el­le Über­grif­fe und sexu­el­le Gewalt, ins­be­son­de­re für Frau­en und Mäd­chen mit Behinderung.

War­um braucht es Schutz­kon­zep­te? von Gerald Mangol

Ange­sichts der oben genann­ten Her­aus­for­de­run­gen ist es von gro­ßer Bedeu­tung, sich ernst­haft mit Schutz­kon­zep­ten für Men­schen mit Behin­de­rung aus­ein­an­der­zu­set­zen. Schutz­kon­zep­te sind not­wen­dig, um ein siche­res und unter­stüt­zen­des Umfeld zu schaf­fen. Sie bie­ten Wege, wie Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen in Insti­tu­tio­nen unter­stützt wer­den kön­nen, um einen infor­mier­ten, selbst­be­stimm­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit Sexua­li­tät leben zu dürfen.

Zu den The­men­be­rei­chen von Schutz­kon­zep­ten gehö­ren unter anderem:

  • Prä­ven­ti­on sexu­el­ler Gewalt
  • Mit­spra­che­recht von Men­schen der Ziel­grup­pe bei der Erstel­lung und Umset­zung der Schutzkonzepte
  • Recht auf Sexu­al­be­glei­tung falls gewünscht
  • Ein­bin­dung von Fach­kräf­ten und Expert*innen, um die Qua­li­tät der Bil­dungs­ar­beit sicherzustellen
  • För­de­rung von Selbstbestimmung
  • Doku­men­ta­ti­on und Evaluation
  • Ver­pflich­ten­de sexu­al­päd­ago­gi­sche Aus­bil­dung für Fachpersonal
  • Fort­bil­dungs­an­ge­bo­te für Fach­kräf­te, um eine respekt­vol­le und infor­mier­te Beglei­tung zu gewährleisten.

Die UN- Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on wid­met sich dem The­ma Sexua­li­tät und behan­delt es in meh­re­ren Arti­keln, ins­be­son­de­re in Bezug auf das Recht von Men­schen mit Behin­de­rung auf Gleich­be­rech­ti­gung, Pri­vat­sphä­re und Fami­li­en­le­ben. Damit sichert sie Men­schen mit Behin­de­rung das Recht auf ein selbst­be­stimm­tes Leben zu.

Hier­zu eini­ge Arti­kel dar­aus zur Veranschaulichung:

Arti­kel 16: Frei­heit von Aus­beu­tung, Gewalt und Missbrauch

  • Schutz vor jeg­li­cher Form von Aus­beu­tung, Gewalt und Miss­brauch, auch im Kon­text von sexu­el­ler Gewalt und sexu­el­lem Missbrauch

Arti­kel 9: Zugäng­lich­keit

  • Zugäng­lich­keit zu Infor­ma­tio­nen und Dienstleistungen
  • Sexu­el­le Aufklärung
  • Zugang zu ent­spre­chen­den Gesundheitsdiensten

Arti­kel 25: Gesund­heit

  • Das erreich­ba­re Höchst­maß an Gesund­heit ohne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund von Behinderung

Anwen­dung von Schutz­kon­zep­ten von Ursu­la Wilms-Hoffmann

Im nächs­ten Vor­trag folg­te der Sprung von der Theo­rie in die Praxis.

Wie lässt sich ein gut erar­bei­te­tes Schutz­kon­zept in den All­tag von Ein­rich­tun­gen der Behin­der­ten­hil­fe inte­grie­ren? Wel­che Wün­sche der Bewohner*innen soll­ten umge­setzt wer­den? Oft­mals sind es Din­ge, die für nicht-behin­der­te Men­schen als selbst­ver­ständ­lich ange­nom­men wer­den. Unter ande­rem sind dies Wün­sche wie:

  • Zim­mer zusperren
  • Betreuer*innen-freie Zeit –ins­be­son­de­re, wenn Bewohner*innen Besuch haben
  • Über­nach­tun­gen von Gäs­ten ermöglichen
  • Recht auf Bezie­hun­gen und Unter­stüt­zung bei Kennenlernmöglichkeiten
  • Recht auf Aufklärung
  • Recht auf Sexualbegleitung

Vor­aus­set­zun­gen:

  • Aus­drück­li­cher Wunsch
  • Ein­sichts­fä­hig­keit hin­sicht­lich Rah­men­be­din­gun­gen und Folgen
  • Hil­fe­stel­lung und Unter­stüt­zung bei der Ange­bots­sich­tung und Kontaktaufnahme
  • Hil­fe­stel­lung bei sexua­li­sier­ter Gewalt

Ein Blick in die Pra­xis von Pau­la Fichtinger-Schulner

Der letz­te inter­es­san­te Vor­trag run­de­te die Tagung ab und war vor allem geprägt von einer Viel­zahl an Pra­xis­bei­spie­len. Die­se ver­deut­lich­ten die Wich­tig­keit einer sexu­al­päd­ago­gi­schen Haltung.

So berich­te­te Frau Ficht­in­ger-Schul­ner etwa von einem Mann in einer Wohn­ge­mein­schaft, wel­cher gro­ßen Bedarf und Inter­es­se an sexu­el­ler Auf­klä­rung hat­te. Zuvor hat­te er sich nur wenig mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen kön­nen. Durch pro­fes­sio­nel­le Unter­stüt­zung konn­te er sei­ne Wün­sche äußern und ein gesun­des Ver­ständ­nis sei­ner Sexua­li­tät ent­wi­ckeln. Ein wei­te­res Bei­spiel betraf einen jun­gen Mann, wel­cher nach einem schwe­ren Unfall vom Kopf abwärts quer­schnitts­ge­lähmt ist. Er äußer­te den Wunsch nach Sexu­al­be­glei­tung. Auch hier waren Team, Eltern und Fach­kräf­te gefor­dert, um eine respekt­vol­le und unter­stüt­zen­de Umge­bung zu schaf­fen und einen Weg zu fin­den, damit er sei­ne Sexua­li­tät auch nach dem Unfall leben kann.

Es ist noch immer ein star­kes Tabu, dass behin­der­te Men­schen sexu­el­le Lust und Erfah­run­gen sam­meln wol­len. Für Kin­der, Jugend­li­che und Erwach­se­ne, die mit einer Beein­träch­ti­gung leben, ist es nach wie vor schwie­rig, stär­ken­de Infor­ma­tio­nen und Auf­klä­rung zu bekom­men. Die Fach­stel­le NÖ bie­tet für die­se Ziel­grup­pen, wie auch für Eltern und Ange­hö­ri­ge, ihr brei­tes Wis­sen an.

Schließ­lich wis­sen wir alle, dass eine geleb­te, frei­wil­li­ge, lust­vol­le Sexua­li­tät glück­lich macht und somit die Gesund­heit posi­tiv ver­stär­ken kann.

Las­sen wir es nicht zu, dass „Sexua­li­tät und Behin­de­rung“ wei­ter­hin ein Tabu­the­ma bleibt! Wenn wir uns gemein­sam für eine Rand­grup­pe stark machen, dann kann es wun­der­ba­re Aus­ma­ße annehmen.


AUTORIN
Pro­jekt­lei­tung Sexualpädagogik
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