Am 5. April 2024 fand in der NÖ Landwirtschaftskammer die Tagung „Immer schneller, immer besser. Chancen und Risiken von Leistungsdruck und Selbstoptimierung“ statt. Dabei kamen knapp 120 Teilnehmer*innen nach St. Pölten, um sich die Inhalte des Hauptvortrages anzuhören sowie bei den sieben verschiedenen Workshops mitzumachen.
Der Hauptvortrag und ein Workshop wurden von Frau Dr.in Martina Kainz gehalten. Martina Kainz weist darauf hin, dass es durchaus positive Aspekte von Leistung, Ehrgeiz und Selbstoptimierung gibt, wie beispielsweise persönliche Erfolgserlebnisse, (wirtschaftliche) Weiterentwicklung oder Wohlstand. Doch bisweilen gelten Effizienzstreben, Leistungsdruck und Perfektionismus als unabdingbare Voraussetzungen für ein erfolgreiches und somit geglücktes Leben. In jüngster Zeit – insbesondere mit der Entwicklung digitaler Technologien – hat sich auch zunehmend die neoliberale Idee in der Gesellschaft durchgesetzt, dass alles machbar sei, wenn man sich nur genug anstrengen würde, ganz nach dem Motto: Jede*r ist seine/ihre eigene ICH-AG, wenn jemand scheitert oder es ihm/ihr schlecht geht – selbst schuld.
Leistungsdruck und Streben nach Perfektion beginnen früh. Eltern wollen ihren Kindern eine optimale Ausbildung ermöglichen, viele beginnen mit der Förderung bereits im Kleinkindalter, um ihren Kindern einen „Vorsprung“ gegenüber anderen zu geben. Wenn die schulische Leistung nicht zufriedenstellend erbracht wird, gibt es – falls leistbar – privat finanzierten Nachhilfeunterricht, für den in Österreich jährlich immerhin über 100 Millionen Euro ausgegeben werden.[1] Im Internet zeigen so genannte „Momfluencerinnen“ ihren Follower*innen, wie sie ihre perfekte Familie managen, wie sie ihren Alltag mit Kindern stets im Griff haben und in aufgeräumten Wohnungen den Nachwuchs bekochen, bespaßen und in jeder Hinsicht fördern. Dass diese Inszenierungen in vielerlei Hinsicht nicht der Realität entsprechen, versteht sich von selbst. Doch der Druck, den Eltern dadurch oder auch auf anderen Ebenen verspüren, ist für ihre Kinder wahrnehmbar und prägend.
Ein das gesunde Maß überschreitendes Perfektionsstreben ist vor allem bei Jugendlichen auf ihr Aussehen und ihren Körper gerichtet. In diesem Zusammenhang spielen Influencer*innen eine große Rolle, insbesondere aber auch die zahlreichen technischen Möglichkeiten der Bild- und Videobearbeitung. Der seit Februar 2023 einsetzbare Filter „Bold Glamour“ von TikTok ist nur ein Beispiel, wie jemand mit natürlichem Aussehen mit einem Klick das glamouröse und ebenmäßige Gesicht eines gestylten Stars erhält. Besonders für junge Mädchen, die häufig Filter bei ihren Selfies verwenden, birgt diese Möglichkeit die Gefahr, sich an ein unrealistisches Aussehen zu gewöhnen, manche haben bereits Probleme, ihr reales Spiegelbild zu akzeptieren. Dieses Phänomen hat mittlerweile als so genannte „Snapchat-Dysmorphie“ Einzug gehalten.
Auch die Zahlen hinsichtlich der Zufriedenheit von Jugendlichen mit ihrem Aussehen und mit ihrem Körper sind ernüchternd: Laut der Studie „Schönheitsideale im Internet: Jugendliche unter Druck“[2] vom Februar 2024 möchten 51% der 11–17jährigen ihr Aussehen verändern, bei den 15–17jährigen sind es gar 64%. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass Influencer*innen ihre Selbstwahrnehmung beeinflussen und immerhin haben beinahe 30% bereits darüber nachgedacht, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen.
Als mögliche Tipps für Eltern bieten sich u.a. folgende Maßnahmen an:
- Bewertungen des Aussehens anderer vermeiden
- Die Like-Funktion (z.B. auf Instagram) ausschalten
- Zeitlimits in der Social-Media-Nutzung setzen
- Selbstakzeptanz stärken und anderen vorleben
Ein weiteres Phänomen, das Perfektionismus und Selbstoptimierung in einem ungesunden Ausmaß fördern kann, ist die Nutzung von Ernährungs- oder Fitness-Apps. Es ist unbestritten, dass Bewegung und gesunde Ernährung einen positiven Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit haben. Jedoch können Menschen, die zu Zwanghaftigkeit oder Essstörungen neigen oder die sich generell selbst sehr unter Druck setzen, gefährdet sein, diese Apps in selbstschädigender Weise einzusetzen. Bei der Verwendung von Ernährungs-Apps wie „Yazio“, „Fat Secret“ oder „Lose It“ und der damit verbundenen nahezu permanenten Beschäftigung mit Kalorien oder Nährwerten tritt bei manchen Nutzer*innen das Phänomen der so genannten „Orthorexie“ auf. Diese kennzeichnet sich dadurch, dass die Ernährungseinschränkungen zunehmend radikaler, die Regeln immer rigider werden und bei Nicht-Einhaltung das Gefühl des Versagens oder der „Unreinheit“ auftreten kann.
Auch Fitness-Apps, die durchaus sehr sinnvoll zur Förderung sportlicher Betätigung eingesetzt werden können, bergen gewisse Gefahren, und zwar insbesondere dann, wenn die Daten und Ergebnisse nicht nur gemessen und festgehalten, sondern auch online geteilt werden. Der daraus resultierende Druck kann sich mitunter negativ auf das psychische Befinden auswirken und es sind nicht Genuss und Freude an der Bewegung im Vordergrund, sondern es zählen lediglich die Ergebnisse, was oft zu Übertraining und Stress führt. Ganz abgesehen davon, dass diese Apps, deren Ergebnisse hochgeladen werden, als „Datenkraken“ eine Art freiwillige Überwachung darstellen und auch hochsensible Gesundheitsdaten enthalten. Für Versicherungen oder Arbeitgeber sind diese Daten sehr interessant und können natürlich auch missbräuchlich verwendet werden. Generell kann festgehalten werden, dass das Risiko von selbstschädigender Verwendung von Ernährungs- und Fitness-Apps immer dann sehr hoch ist, wenn durch die Perfektionierung des Körpers oder des Ernährungsverhaltens bestehende psychische Probleme verdrängt werden.
Wie kann man nun Leistungsdruck reduzieren und Selbstoptimierung sinnvoll gestalten?
Was Eltern betrifft, so sollten sie sich der Quellen des eigenen Perfektionsstrebens bewusstwerden und die eigene Stressverarbeitung reflektieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken und die Genussfähigkeit zu fördern (zum Beispiel gemeinsam zu kochen oder Essensrituale zu pflegen). Weiters ist es wichtig, möglichst wenig an seinem Körper bzw. an seinen Leistungen zu „vermessen“ bzw. entspannt mit den Ergebnissen umzugehen, ebenso Vergleiche mit anderen zu vermeiden.
Auch Pädagog*innen können darüber hinaus Rahmenbedingungen schaffen, die einen ungesunden Leistungs- und Perfektionsdruck reduzieren:
Dafür ist es nötig, den vorhandenen Spielraum für individuelle Förderung bestmöglich zu nützen. Bei schlechten Leistungen keine „Enttäuschung“ zu signalisieren, einen sensiblen Umgang mit Lob oder auch bei der Bewertung von sportlichen Leistungen zu pflegen und insgesamt außerschulische Aktivitäten und Methoden einzubauen, die den Teamgeist stärken.
Letztendlich sind aber für alle, die mit Kindern und Jugendlichen interagieren, Gelassenheit und Humor durchaus brauchbare Eigenschaften, die einen wirksamen Schutz vor allzu großem Perfektionismus bieten.
Der Hauptvortrag endete mit einer Diskussionsrunde. Die Teilnehmer*innen gaben Einblicke, wie Leistungsdruck und Selbstoptimierung sich im beruflichen & familiären Alltag auswirken. Es wurden dabei Aspekte des Hauptvortrags aufgenommen und weiterdiskutiert. Im Vordergrund stand hier der steigende Medienkonsum und seine Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Im Anschluss ging es nach einer kurzen Pause mit den Workshops los. Die folgenden Abschnitte zeigen Einblicke in die Workshops und deren Inhalte.
Digitales Kinderzimmer – NÖ Familienbund
Referent*in – Marietheres van Veen
Der Workshop „Digitales Kinderzimmer“ war sehr anschaulich und übersichtlich strukturiert.
Die Herausforderungen für Familien und auch für die pädagogische Arbeit im Alltag wurden beleuchtet. Lösungsorientierte Strategien wurden in Kleingruppen erarbeitet. Es waren die Teilnehmerinnen immer wieder mit Ihren persönlichen Anliegen gefragt und konnten sich fachlich wertvollen Input mitnehmen.
Wer Schmetterlinge lachen hört – in der Ruhe liegt die Kraft –
„Gesunde Schule – Tut gut!“
Referent*in – Birgit Amenitsch-Freiberger
Im Workshop „Wer Schmetterlinge lachen hört – in der Ruhe liegt die Kraft“ wurden die positiven Auswirkungen von Bewegung behandelt. Dadurch können Kinder ihre Umgebung differenziert wahrnehmen und neue Eindrücke gewinnen:
Bewegung und Wahrnehmung sind die Grundbausteine kindlicher Entwicklung. Durch die Aufnahme und Verarbeitung sinnlicher (sensorischer) Reize gewinnen Kinder Erkenntnisse in Bezug auf die Umwelt und in Bezug auf den eignen Körper. Kinder lernen sowohl die Umwelt und deren Zusammenhänge als auch den eigenen Körper kennen und verstehen. Alle Voraussetzungen, die für das Lernen notwendig sind, werden über unser Bewegungs- und Wahrnehmungssystem geschaffen.
Stabil bleiben in stürmischen Zeiten – MedUni Wien
Referent*in – Dr. Valentin Wollenek
Im Workshop „stabil bleiben in stürmischen Zeiten“ wurden zahlreiche Studien mit den Teilnehmer*innen besprochen. Im Vordergrund standen aktuelle Herausforderungen für Jugendliche, neben der österreichischen Situation wurden internationale Vergleiche betrachtet. Ob Klimawandel, Krieg oder Wirtschaft, die Sorgen der Jugendlichen sind komplex und divers[3]. Um Krisen entgegenzuwirken bzw. besser mit Ihnen umgehen zu können, wurde im Workshop das Thema „Resilienz“ genauestens behandelt. Herr Dr. Wollenek zeigte soziale und auch individuelle Faktoren auf, welche die Resilienz positiv beeinflussen[4]. Ein weiteres Thema im Workshop waren psychische Erkrankungen, wie man diese erkennt, und welche grundsätzlichen Faktoren einen positiven Einfluss auf unsere Psyche haben können. Genauestens wurde hier auf Ernährung, Bewegung, Schlaf, soziale Kontakte und Umgang mit Stress eingegangen.
Die Atmosphäre des Workshops wurde als sehr informativ empfunden und regte die Teilnehmer*innen an, sich zum Abschluss des Workshops noch mit einigen Fragen einzubringen.
Nutze dein „inneres Team“ für deine Alltagsherausforderungen und für einen liebevollen Umgang mit dir selbst – Diözese St. Pölten
Referent*in – Karin John-Redlingshofer
Im Workshop „Das innere Team“ wurden die Quellen, auf denen der Workshop aufbaut, besprochen und einige „innere Teammitglieder“ mit Symbolen in der Mitte des Raumes gegenwärtig gemacht. Aus vielen auf Karten vorbereiteten „Team-Spielern“ konnten die Teilnehmenden ihre eigenen „inneren Stimmen“ heraussuchen und sich damit anhand einer konkreten Alltagssituation auseinandersetzen. Dem „inneren Antreiber“ wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei die Referentin zu allen belastenden Aspekten auch jeweils die förderliche, positive Seite formulierte.
Vom Leistungsdruck zur Schaffensfreude. Vom Konkurrenzdenken zur Teamfähigkeit – Heilpädagogik NÖ
Referent*in – Anna Ruschka
Leistungsdruck fordert heraus und ist positiv, vorausgesetzt er bleibt im Rahmen der eigenen Fähigkeiten – so wandelt sich der Druck in Schaffensfreude, wie man sie beim jungen Kind bei spontanen Aktivitäten beobachtet.
Konkurrenzdenken entsteht durch Vergleichen mit den Fähigkeiten anderer. Dies löst Eifersucht und Leistungsdruck aus, und verhindert gemeinsames Streben nach einem Ziel im Team.
Wie Kostendruck und der Druck der Gesellschaft die Familie verändern – Kath. Familienbund
Referent*in – Stefan Pruckner & Alexandra Schadinger
Zum Einstieg in den Workshop „Wie Kostendruck und der Druck der Gesellschaft die Familie verändern“ wurden Beobachtungen aus dem Familienalltag herangezogen, die gegenwärtigen Anschauungen mit denen der früheren Generationen verglichen, um die Veränderungen der letzten Jahrzehnte zu verdeutlichen. Zum Beispiel war es in den 70ern noch durchaus üblich, dass Mütter zu Hause bei den Kindern geblieben sind. Heute geraten sie unter Druck, wenn sie nicht zum 1. Geburtstag des Kindes wieder in den Berufsalltag einsteigen. Zusätzlich werden Familien durch den massiven Kostendruck durch Teuerung und Inflation belastet.
Der Druck durch die Gesellschaft und die Medien ist massiv. Sie geben uns vor, wer und wie wir zu sein haben. Tagtäglich stellt man sich die Frage: „Tue ich genug?“ bzw. „Bin ich gut genug?“ Auch unsere Kinder bleiben davon nicht verschont. Dieser massive Druck bringt uns dazu, uns anzupassen, zu verformen und zu verbiegen. Wir verlieren so aber unsere Individualität.
Im Workshop haben alle Teilnehmerinnen, in einer sehr offenen Atmosphäre, ihre persönlichen Erfahrungen eingebracht. Danach wurden gemeinsam Möglichkeiten besprochen, das Familienleben entspannter und selbstbestimmter zu gestalten.
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Quellen:
[1] https://www.derstandard.at/story/2000136407315/ausgaben-fuer-nachhilfeunterricht-um-ein-fuenftel-gestiegen
[3] Ö3-Jugendstudie (oe3jugendstudie.at)
[4] Afifi et al., 2011; Domhardt et al., 2015; Cicchetti et al., 2013; J Child Pychol Psychiatr