Ein Leben lang begleitet uns Sexualität als Teil des Menschseins, ob nun in der Kindheit, als Jugendliche oder im Erwachsenenalter, aber sie verändert sich. Und je nach Lebensphase und ‑entwicklung stehen andere Lernschritte, Erfahrungen und Fragestellungen im Vordergrund.
In der Sexualpädagogik geht es darum, genau auf diese aktuelle Lebensrealität einzugehen und dort zu begleiten und zu unterstützen, wo momentan ein Bedürfnis besteht. Bei Workshops mit Jugendlichen lernen also nicht nur die Schüler*innen, sondern auch wir als Pädagog*innen bekommen aktuell spannende Themen und Trends, individuelle Unterschiede und auch jede Menge Mythen rund um die Sexualität mit.
Die größten Sex-Mythen unter Jugendlichen
Der erste Teil der Artikel-Reihe über Sexualität ab der Pubertät soll einen kleinen Einblick geben, welche Mythen und Geschichten sich hartnäckig halten – und was eigentlich dahintersteckt. Denn um das Thema Sexualität ranken sich viele Erzählungen, die oft eine große Faszination ausüben und somit sehr viel Kraft entwickeln können. Wird dann auch noch in Medien, wie TV-Serien oder Social Media, darauf eingegangen oder wird eine Geschichte immer wieder weitererzählt, verfestigen sich diese Vorstellungen und so herrscht oft große Überraschung im Klassenzimmer, wenn wir auf- und erklären, was es damit wirklich auf sich hat.
Auch Mythen verändern sich. Es gibt aber sehr ausdauernde Geschichten, auf die wir besonders oft treffen: Drei davon werden hier vorgestellt und aufgeklärt.
- Das erste Mal Sex tut weh, weil das „Jungfernhäutchen“ reißt
Ein Mythos, den wohl schon jede*r mal gehört hat, und trotz oder wegen dem noch nicht überall angekommen ist, dass es das „Jungfernhäutchen“ in diesem Sinne gar nicht gibt! – Richtig gelesen: Man kann sich das Hymen eher als einen sehr elastischen Hautkranz um den Scheideneingang herum vorstellen, der nie ganz verschlossen sein kann (wie käme sonst Weißfluss oder das Regelblut heraus?). Schon während der Fetalphase im Mutterleib (also noch bevor das Mädchen geboren wird) bildet sich das Hymen individuell zurück. Das heißt: Bei einer Person ist ein klein bisschen mehr „übriggeblieben“, bei einer anderen kaum etwas. Und so kann auch kein*e Ärzt*in der Welt durch eine Untersuchung feststellen, ob eine Frau schon einmal Geschlechtsverkehr hatte oder nicht!
Nimmt die Scheide zum ersten Mal einen Penis auf, blutet in mehr als der Hälfte aller Fälle überhaupt nichts. Wenn das Häutchen doch einen ganz feinen Riss bekommt, kann es ein paar Tropfen Blut geben – die Schmerzintensität dabei wäre in etwa vergleichbar mit dem Einzwicken von Haut zwischen Fingernägeln. Woran aber liegt es dann, dass das heterosexuelle „1.Mal“ angeblich mit Schmerzen verbunden ist? – Überraschung für viele: das erste Mal muss überhaupt nicht schmerzhaft sein – wenn die Vagina ausreichend erregt ist. Denn dann wird sie feucht und weich, der sie umgebende Beckenbodenmuskel entspannt sich, und sie ist damit in der Lage, etwas ganz ohne Schmerzen aufzunehmen. Ist es noch nicht so weit, kann sich Geschlechtsverkehr unangenehm anfühlen – und man darf einfach noch ein bisschen warten und sich weiter erregen (lassen), bevor man ohne Schmerzen aber mit Lust weitermacht.
Hier wird auch deutlich, so ein Mythos kann in der Praxis dazu führen, dass sich Menschen dementsprechend verhalten: Bin ich davon überzeugt, dass das erste Mal weh tut, werde ich es auch eher hinnehmen und unnötige Schmerzen aushalten. Aufklärung ist hier also ein Schritt in die Autonomie und Selbstfürsorge.
- Beim „Scheidenkrampf“ kann der Penis in der Scheide stecken bleiben
Diese Geschichte klingt ein bisschen zu verrückt, um wahr zu sein? Oder doch nicht?
Die Scheide soll sich so stark verkrampfen können – z. B. wenn man beim penetrativen Sex überrascht wird oder sich erschreckt – dass der Penis nicht mehr herausgezogen werden kann und nur noch die Rettung helfen kann! Diese „schreckliche Vorstellung“ hat auch immer etwas sehr Faszinierendes und meistens debattiert schnell die eine Hälfte der Klasse mit der anderen über den Wahrheitsgehalt.
Die meisten ahnen es: Nein, das ist nicht möglich. Keine Scheide der Welt besitzt die Kraft, einen – im Falle von plötzlichem Stress meistens nicht mehr erigierten – Penis in sich „festzuhalten“. Das ist pure Fantasie, die sich aber (immer noch) manchmal in Reality-TV-Formaten oder im Internet finden lässt, ganz einfach, weil sie sich als Story und mit Bildern sehr gut ausgestalten lässt. Ein Stück weit kann dahinter auch fehlendes Wissen und wenig Vorstellung vom Scheiden-Innenraum stecken: hier kann Sexualpädagogik Body-Facts vermitteln und über Körperwissen solche Mythen entkräftigen.
- Eine Frau kann durch Sperma aus dem Wasser schwanger werden
Dieser Mythos kommt in ganz unterschiedlichen Gewändern daher: „Da gab es angeblich eine Pool-Party in Australien, nach der ganze 17 Frauen schwanger waren – ohne Sex gehabt zu haben.“ Oder „Besonders kräftige Spermien sind in der Badewanne oder im Schwimmbad zum Scheideneingang geschwommen, nachdem jemand ins Wasser ejakuliert hat.“
Tatsache ist: Wenn Spermien ins Wasser gelangen, sind sie nicht mehr bewegungsfähig und sterben ab. Eine unabsichtliche Befruchtung im Wasser aus der Ferne ist also unmöglich. (Was nicht bedeutet, dass Geschlechtsverkehr im Wasser „safe“ ist. Denn kommen die Spermien ganz nahe an die Gebärmutter heran, ist es natürlich möglich, schwanger zu werden). Interessant ist aber, wo Spermien denn ansonsten überleben? – Getrocknetes Sperma ist genauso unwirksam wie Sperma im Wasser. Sind sie am Scheideneingang, können Spermien allerdings durchaus in die Scheide transportiert werden und so Richtung Gebärmuttereingang gelangen. Dort ist auch der Ort, an dem sie sich am wohlsten fühlen: In der Gebärmutter können sie bis zu 7 Tage überleben. Und schon sind wir bei vielen weiteren Fragen zum Thema Befruchtung, schwanger werden und Zyklus.