Die Allgegenwart elektronischer Geräte, allen voran Smartphones, macht auch vor unseren Jüngsten nicht halt. Daher ist es erforderlich, Eltern und Erziehende frühzeitig über den richtigen Gebrauch digitaler Geräte zu informieren und aufzuzeigen, ob und in welchem Ausmaß Kleinkinder elektronische Medien nutzen sollen.
Das Phänomen, dass fast alle Kinder im Vorschulalter oder manchmal bereits als Säuglinge Kontakt mit elektronischen Medien haben, ist ein relativ neues und erst seit der flächendeckenden Nutzung von Smartphones bzw. Tablets zu beobachten. Groß ist daher die Verunsicherung vieler Eltern und Erziehungspersonen darüber, ob und in welchem Ausmaß sie ihren Kleinkindern Medienkontakt ermöglichen sollten.
Studienergebnisse und Stellungnahmen von Fachleuten
Wissenschaftlich gibt es noch nicht allzu viele Daten darüber, welche Auswirkungen frühzeitiger bzw. häufiger Medienkonsum im Kleinkindalter langfristig haben kann, die bisherigen Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass es sehr wohl Zusammenhänge zwischen frühem Medienkonsum und Störungen der emotionalen Entwicklung von Babys und Kleinkindern gibt: So stellte 2023 eine Gruppe von Forscher*innen an der Universität Michigan (Radesky, Kaciroti u.a.)[1] im Rahmen ihrer zweijährigen Studie fest, dass insbesondere jene Kinder, die digitale Geräte regelmäßig zur Beruhigung bekommen hätten, im Laufe der Zeit eine deutlich geringere Fähigkeit aufwiesen, ihre Gefühle zu regulieren.
Auch in ihrem 2022 veröffentlichten Positionspapier spricht sich die GAIMH (German-Speaking Association for Infant Mental Health)[2] sehr klar für einen reduzierten und verantwortungsbewussten Umgang ganz junger Kinder mit digitalen Medien aus: Die Forscher*innen fordern eine frühzeitige Information bereits von werdenden Eltern und betonen, es gehe in erster Linie um die Bewusstwerdung, welche Einflüsse digitale Medien auf die Kinder haben können.
Es gehe aber auch – und dies deckt sich mit dem zentralen Ansatz der Suchtprävention – um das Aufzeigen der eigenen Ressourcen und um die aktive Gestaltung eines medienfreien/medienreduzierten Alltags in der Familie.
Interessante Ergebnisse zeigt auch die Untersuchung von Saferinternet.at[3] aus 2019, also noch vor der Pandemie: Hier wurde nicht nur das Nutzungsverhalten der Eltern selbst erhoben (30% verschicken bereits vor der Geburt Fotos ihrer Kinder, 12% teilen täglich online Fotos der Kinder, das ergibt hochgerechnet etwa 37 Mio hochgeladene Kinderfotos pro Jahr), sondern auch das Medienverhalten der 0–6jährigen selbst: In dieser Altersgruppe nutzen beispielsweise immerhin 10% der Kinder Videos als Einschlafritual, 17% von ihnen wurden bereits mit ungeeigneten Inhalten konfrontiert.
Warum faszinieren digitale Medien bereits Babys?
Warum Smartphones oder Tablets eine derartige Faszination bereits auf die Allerjüngsten ausüben, lässt sich durch die Wirkung dieser Medien auf das Gehirn erklären: Das Belohnungszentrum wird vor allem durch folgende Faktoren angeregt, die für bewegte Bilder am Bildschirm charakteristisch sind und durch die unter anderem auch Glückshormone ausgeschüttet werden. Es sind dies ganz besonders
- grelle Farben
- wiederholte Geräusche
- unmittelbare „Belohnungen“ im Rahmen von Interaktionen
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist jedoch, dass bereits Babys sehr gut beobachten, welche Faszination das Smartphone auch auf ihre Eltern ausübt und wie sehr bzw. wie oft sich diese auf die Bildschirme konzentrieren. Während früher ein einziger Fernsehbildschirm im Wohnzimmer stand und das Programm nur zu eingeschränkten Zeiten verfügbar war, ist das Smartphone mittlerweile fast immer und überall dabei.
Mögliche Folgen von exzessiver Mediennutzung im Kleinkindalter
Sowohl zeitnah als auch längerfristig sind bei Kindern, die bereits im Baby- oder Kleinkindalter häufig digitale Medien konsumieren, Folgeschäden wahrnehmbar. Vor allem folgende Beeinträchtigungen wurden beobachtet:
- Fütterungsstörungen und/ oder Einschlafstörungen
- Bindungsstörungen
- Überforderung durch Reizüberflutung und Konzentrationsstörungen
- Motorische Hyperaktivität, vermehrte Unruhe und Ablenkbarkeit
- Störungen in Sprachentwicklung bzw. der kognitiven Entwicklung
Die Gestaltung einer guten Beziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen ist ein wesentlicher Bestandteil für die gesunde Entwicklung des Kindes. So zeigt sich, dass die häufige Nutzung des Smartphones seitens der Eltern bzw. der Betreuungspersonen während des Fütterns den für den Bindungsaufbau so notwendigen Blickkontakt verhindert. Ebenso kann die regelmäßige Smartphone-Nutzung der Bezugspersonen während des Essens oder auf dem Spielplatz aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit für das Kind bei diesem zu Frustration, Rückzugsverhalten oder auch zu unangemessenem bzw. risikoreichem Verhalten führen.[4] Das heißt im Umkehrschluss: Beim Füttern und Wickeln, beim gemeinsamen Essen oder Spielen sollte die gesamte Aufmerksamkeit dem Kind gewidmet sein.
Was brauchen Babys und Kleinkinder wirklich?
Für Eltern und Erziehende ist daher die Überlegung zentral, was Kinder im Kleinkindalter aus entwicklungspsychologischer Sicht tatsächlich brauchen. Es sind dies vor allem folgende Erfahrungen:
- Blickkontakt
- Begegnungen mit Menschen, die mit ihnen sprechen
- Sinneserfahrungen und Bewegung
- Freies Spiel
- Naturerfahrungen
- Gesunder Schlaf
Medienerfahrungen sollten in den ersten drei Jahren überwiegend durch (Bilder)bücher erfolgen, eine besonders wichtige Rolle nimmt dabei das dialogische Vorlesen ein. Es fördert erwiesenermaßen die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten des Kindes sowie dessen persönliche und soziale Entwicklung.[5]
Richtlinien zur Mediennutzung für Eltern von Kleinkindern
Resümierend aus den bisherigen Forschungsergebnissen und Stellungnahmen von Fachleuten lassen sich demnach folgende Richtlinien, Regeln und Tipps bezüglich der Nutzung elektronischer Medien formulieren:
- Erstellen Sie Familienregeln für den Gebrauch digitaler Medien
- Beachten Sie Ihre Vorbildwirkung für die Kinder
- Nutzen Sie Smartphone, Tablets oder auch den Fernseher nicht als „Babysitter“
- Digitale Medien sollten Kleinkindern nur ausnahmsweise zur Verfügung gestellt werden, begleiten Sie Ihre Kinder dabei (z.B. Fotos ansehen oder Videoanrufe mit Verwandten)
- Schenken Sie beim Füttern, Versorgen und Kommunizieren dem Kind Ihre volle Aufmerksamkeit
- Phasenweise Langeweile ist für Kinder in Ordnung, sie lernen auf diese Weise, sich selbst zu beschäftigen und Kreativität zu entwickeln
- Posten Sie keine Fotos von (halb-)nackten Kindern
- Fördern Sie Bewegung und Naturerfahrungen Ihrer Kinder
AUTORIN
Quellen:
[1] Radesky JS, Kaciroti N, Weeks HM, Schaller A, Miller AL. Longitudinal Associations Between Use of Mobile Devices for Calming and Emotional Reactivity and Executive Functioning in Children Aged 3 to 5 Years. JAMA Pediatr. 2023 Jan 1;177(1):62–70. doi: 10.1001/jamapediatrics.2022.4793. PMID: 36508199; PMCID: PMC9857453.
[2] https://www.gaimh.org/aktuelles-reader/positionspapier-digitale-medien-und-fruehe-kindheit.html
[3] https://www.saferinternet.at/news-detail/neue-studie-72-prozent-der-0-bis-6-jaehrigen-im-internet
[4] Vgl. Elias, N., Lemish, D., Dalyot, S., & Floegel, D. (2021). “Where are you?” An observational exploration of parental technoference in public places in the US and Israel. Journal of Children and Media, 15(3), 376–388.
[5] Vgl. Niklas et al. 2016, Vorlesestudie 2018; Vorlesemonitor 2023: https://www.stiftunglesen.de/fileadmin/PDFs/PM/2023/Vorlesemonitor2023_final.pdf
Weiterführende Informationen und Quellen:
Informationen zu „Treffpunkt Familie“:
https://www.fachstelle.at/wp-content/uploads/2022/03/Info_Treffpunkt_Familie_2022.pdf
Vortrag „Papa, darf ich dein Handy…?“: https://www.fachstelle.at/wp-content/uploads/2023/04/Info_VO_Papa_darf_ich_dein_Handy_2024.pdf
Medienbroschüren der Fachstelle NÖ zum Download:
https://www.fachstelle.at/wp-content/uploads/2022/05/kinder_medien_NOE_2018.pdf
https://www.fachstelle.at/wp-content/uploads/2022/06/Jugend_medien_NOE_2021_klein.pdf
Empfehlungen deutscher Kinderärzte bezüglich der Dauer der Mediennutzung: https://www.kindergesundheit-info.de/themen/medien/alltagstipps/mediennutzung/hoechstdauer/
Saferinternet: Informationen für Eltern: https://www.saferinternet.at/zielgruppen/eltern
Rat auf Draht – Elternseite: