Bereits die Allerjüngsten beschäftigen sich regelmäßig mit digitalen Medien
In Cafés, Restaurants oder Hotels fällt auf, dass Eltern Tablets oder Smartphones als „elektronische Babysitter“ für ihre Kinder – oftmals bereits im Säuglingsalter – nutzen, um ihre Kinder zu beschäftigen und ruhig zu stellen.
Laut einer aktuellen Studie (Saferinternet.at, 2020) nutzen bereits 72 Prozent der Kinder zwischen 0 und 6 Jahren bzw. 81 Prozent der 3- bis 6- Jährigen zumindest gelegentlich internetfähige Geräte. Im Vergleich zu 2013 (41 %) ist damit in der Altersgruppe der 3- bis 6‑Jährigen eine Verdoppelung festzustellen. 33 Prozent der Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren beschäftigen sich täglich mit einem internetfähigen Gerät. Bei 46 Prozent geben die Eltern an, dass ihr Kind dies mehrmals pro Woche tut. Im Vergleich zu 2013 (15 % täglich und 30 % mehrmals pro Woche) ist auch hier eine deutliche Steigerung in der Nutzungshäufigkeit zu beobachten.
Durchschnittlich kommen Kinder im Alter von einem Jahr erstmals mit digitalen Medien in Kontakt. 72 Prozent der Eltern geben an, dass ihr Kind sogar noch jünger war, als es zum ersten Mal ein internetfähiges Gerät verwendet hat.
Die digitalen Hauptbeschäftigungen sind Videos anschauen (73 %), Fotos anschauen (61 %), Musik hören (61 %) und Spiele spielen (51 %).
Diese Zahlen stimmen nachdenklich und machen umso deutlicher, wie wichtig altersgerechte Regeln und Grenzen in Bezug auf den Medienkonsum in Familien sind.
Emotionale Bindung als sichere Basis für Lernen und soziales Leben
Eltern beruhigen ihre Kinder heutzutage häufig, indem sie ihnen ein Handy zum Spielen geben, z. B. bei ärztlichen Untersuchungen. Anstatt beruhigend mit ihnen zu reden, sie zu trösten und zu streicheln, werden sie mit einem digitalen Gerät abgelenkt.
Direkte Zuwendung, Liebe und körperliche Nähe sind jedoch menschliche Grundbedürfnisse. Aus psychologischen Langzeitstudien (vgl. Kaiser, 2017) weiß man, dass Menschen mit sicheren frühkindlichen Bindungen später sozial kompetenter sind, eher über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügen, Krisen besser verkraften und seltener an Süchten und anderen psychischen Erkrankungen leiden. Kinder, die bei ihren Bezugspersonen sicheren Halt und Trost finden, gewinnen auch genug Sicherheit, um Erkundungen auf eigene Faust zu unternehmen und sich auf neue Situationen, Erfahrungen und Menschen einzulassen. Bindungen sind somit auch die entscheidende Grundlage für das Lernen und die Entwicklung von Eigenständigkeit und Selbstverantwortung.
Wenn Eltern/Erwachsene häufig durch ihre Smartphones abgelenkt sind, hat das Einfluss auf die Kinder. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit hat sich die Anzahl der Unfälle von unter 5‑Jährigen auf Spielplätzen in den letzten Jahren verdreifacht. Ein möglicher Grund könnte sein, dass Eltern durch Smartphones verstärkt abgelenkt sind (Saferinternet.at, 2019).
Kinder brauchen Blickkontakt für eine sichere Bindung. Kinder empfinden das Smartphone oft als Konkurrent und Kinder ahmen natürlich auch das Verhalten ihrer erwachsenen Bezugspersonen nach. Deshalb ist es umso wichtiger, unsere Handys immer wieder einmal ganz abzuschalten und wegzulegen, um unseren Kindern unsere volle Aufmerksamkeit widmen zu können (vgl. Saferinternet.at, 2017).
Ergebnisse aus der Gehirnforschung sprechen für einen reduzierten Medienkonsum
Gemäß dem Neurobiologen Gerald Hüther (2001) braucht ein menschliches Gehirn, um sein volles Potential entfalten zu können, intensive Begegnungen mit einzelnen Menschen. Ein Mensch muss möglichst viele unterschiedliche Erfahrungen im Zusammenleben mit anderen Menschen machen, um sich dabei ein möglichst umfangreiches Wissen und möglichst vielseitige Kompetenzen aneignen zu können.
Das heißt: Die zahlreichen Apps oder Programme, die für Babys und kleine Kinder entwickelt wurden, um sie abzulenken oder um angeblich ihre Entwicklung zu fördern, sind eigentlich für das Lernen völlig ungeeignet, da Kinder vor allem durch die Interaktion mit ihren Eltern/Bezugspersonen lernen. Wenn Kinder verstärkt Bildschirmmedien ausgesetzt werden, dann lernen sie insgesamt tatsächlich weniger (vgl. Spitzer, 2012).
„Mama, mir ist fad!“ – auch Langeweile ist wichtig
Um als Erwachsene*r möglichst frei, unabhängig und selbständig zu leben, ist es notwendig, als Kind zu lernen, dass nicht jedes Bedürfnis sofort und manches sogar gar nicht befriedigt werden kann und dass es einen Bedürfnisaufschub gibt, den man aushalten muss. Demnach ist es wichtig zu lernen, auch Langeweile auszuhalten, ohne sofort mit einer Beschäftigung oder digitalen Medien abgelenkt zu werden oder sich abzulenken. Kinder, die ständig abgelenkt werden, werden nur schwer lernen, unangenehme Situationen im Leben zu ertragen und zu meistern, ohne unzufrieden mit sich und ihrem Leben zu sein. Wenn Kinder sich daran gewöhnen, sich digital abzulenken, sobald sie ein unangenehmes Gefühl verspüren, können sie leichter in eine digitale Abhängigkeit geraten. Durch den Einsatz von „digitalen Babysittern“ wird diese von den Erwachsenen sogar noch gefördert (vgl. Kaiser, 2017).
Kinder brauchen Naturerfahrungen
Kinder verbringen heute den größten Teil ihrer Zeit in geschlossenen Räumen und vor Bildschirmen. Mit der Natur haben sie kaum noch Berührungspunkte. Es ist leider eine traurige Tatsache, dass Kinder immer weniger im Freien spielen. Wissenschaftler*innen konstatieren daher bereits eine „Naturdefizitstörung“ und einen enormen Naturmangel unserer Kinder.
Kinder brauchen jedoch auch Naturerlebnisse, genauso wie sie gute Ernährung und ausreichend Schlaf benötigen. Das kann sein: ein Baumhaus als Rückzugsort, ein Haustier oder ein Platz auf einem unbebauten Grundstück, wo man sich mit Freund*innen treffen kann, etc. (vgl. Kaiser, 2017).
Tipps für Eltern
- Fixieren Sie für sich klare Bildschirmzeiten für Ihre Arbeits- oder Freizeitaktivitäten am Handy/PC etc.!
- Legen Sie Ihr Handy beim Spielen mit Ihrem Kind zur Seite und schenken Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit!
- Seien Sie ein gutes Vorbild: Zeigen Sie Ihrem Kind, wie man auch ohne Handy mit Langweile umgehen kann!
- Nutzen Sie YouTube & Co. nicht als Babysitter!
- Lassen Sie Ihr Kind nicht unbeaufsichtigt an den Bildschirm, denn selbst harmlose Kinderserien beinhalten immer wieder auch verstörende Inhalte!
- Stellen Sie gemeinsame Familienregeln auf und legen Sie klare und altersadäquate Grenzen für Bildschirmzeiten fest!
- Beachten Sie Altersgrenzen für Computerspiele und Filme!
- Gehen Sie mit Ihren Kindern hinaus in die Natur und lassen Sie Ihre Kinder auch im Freien spielen!
Quellen:
Hüther, G. (2001). Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn
Kaiser, G. (2017). Digitale Süchte. Appst Du schon oder lebst Du noch?
Saferinternet.at (2017). Folge 14: Frag Barbara! – Schau mich an! Abgerufen am 21.09.2020 unter https://www.saferinternet.at/services/frag-barbara/
Saferinternet.at (2019). „Mama, darf ich dein Handy?“ 10 Tipps für Eltern von Kindern zwischen 3 und 6 Jahren
Saferinternet.at (2020). Neue Studie: 72 Prozent der 0- bis 6‑Jährigen im Internet. Abgerufen am 21.09.2020 unter https://www.saferinternet.at/news-detail/neue-studie-72-prozent-der-0-bis-6-jaehrigen-im-internet/
Spitzer, M. (2012). Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen