Mal wieder jährt sich der internationale Frauentag und gibt uns allen die Gelegenheit ein bisschen zu reflektieren. Vielleicht auch über unsere internalisierte Frauenfeindlichkeit?
Das wir in einer frauenfeindlichen Gesellschaft leben, steht wohl außer Frage und äußert sich täglich in sexistischen Witzen und Kommentaren, Bewertungen des Aussehens von Frauen, Duldung von Gewalt gegenüber Frauen, starren Geschlechterrollen, Sexualisierung usw.
Aber was bedeutet internalisiert? Darunter versteht man, einfach gesagt, dass Vorurteile schon so lange existieren, dass sie von uns verinnerlicht wurden. Und egal wieviel Zeit wir schon investiert haben, um uns mit einem Thema auseinanderzusetzen, sei es Rassismus, Sexismus, Ableismus (Vorurteile gegenüber Menschen mit Förderbedarf) oder andere toxische „-ismen“, die erste Reaktion in unserem Kopf entspricht bei den meisten einem Vorurteil: „Sie ist selbst schuld, warum hatte sie sowas auch an?“ „Der Täter hatte sicher Migrationshintergrund“ usw. Das hat den einfachen Grund, dass wir alle mit diesen Vorurteilen aufgewachsen sind, sie waren etwas Normales für uns. Dieser „Normalität“ ist es auch geschuldet, dass wir alle die Frauenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft lange Zeit mitgetragen haben und es noch viel Zeit und den Willen zur Auseinandersetzung mit der Materie braucht, bis wir Sexismus endgültig von unseren Straßen und aus unseren Köpfen verbannt haben.
Es gibt also wieder einmal einen Anlass, um über Frauen zu reden!
Fragen über Fragen
Nimmt man sich die Zeit, um über Frauenthemen nachzudenken, tauchen viele Fragen auf.
Fragen wie:
Warum gibt es kaum Schulbücher mit einer korrekten Abbildung und Bezeichnung des weiblichen Geschlechts?
Warum wird der Orgasmus von Frauen als schwer zu erreichendes Mysterium betrachtet?
Warum ist die Menopause etwas, durch das man eben „durch muss“ und das man „aushalten muss“?
Warum werden Periodenschmerzen ständig verharmlost und warum dauert es bis zu 8 Jahre bis Endometriose diagnostiziert wird[1]?
Einer aufmerksamen Person wird aufgefallen sein, dass alle diese Fragen einen gemeinsamen Nenner haben: die Gesundheit – oder konkreter – Frauengesundheit. Denn hier ist es tatsächlich wichtig einen Unterschied zu machen. Denn ein weiblicher Körper funktioniert anders als ein männlicher.
Gaps, Gaps, Gaps…
Vielen von uns ist der sogenannte „Gender Pay Gap‘“ geläufig. Er bezieht sich auf die Ungleichverteilung der Bezahlung von Frauen und Männern und begegnet uns regelmäßig in den Medien. Es gibt aber noch viele andere „Gaps“, und zwar in Bezug auf die Frauengesundheit.
So bezeichnet der „Gender Health Gap“ die Geschlechterungleichheit in der medizinischen Forschung und Versorgung.
Die Ursachen für diese Unterschiede liegen in der Forschung, beim „Gender Data Gap“. Dieser bezeichnet die Tatsache, dass Frauen in der medizinischen Forschung noch immer unterrepräsentiert sind und sich Forschung seit Jahrzehnten an einer bestimmten Norm orientiert: dem weißen Mann. Dabei wurde lange komplett negiert, dass Frauenkörper sich anders verhalten als Männerkörper. So haben Frauen bekanntermaßen einen monatlichen Zyklus und damit einhergehende Hormonschwankungen, die wiederum beeinflussen, wie bestimmte Medikamente verstoffwechselt werden. Werden diese Dinge in der Forschung nicht mitbedacht, kommt es dazu, dass Medikamente bei Frauen schlechter wirken und es zu mehr oder schwerwiegenderen Nebenwirkungen kommt.
Auch bestimmte Krankheiten äußern sich bei Frauen anders als bei Männern. Als Klassiker wäre hier der Herzinfarkt zu nennen. Denkt man über die typischen Symptome eines Herzinfarkts nach, fallen einem spontan Brustschmerzen und Schmerzen im linken Arm ein. Was auch richtig ist – wenn man ein Mann ist. Frauen zeigen hingegen andere Symptome, die leider auch schwerer zuordenbar sind. Diese wären z.B. ausstrahlende Schmerzen im Rücken, Hals, Nacken, Kiefer und Oberbauch, aber auch Übelkeit und Erbrechen[2].
Traurige Folge davon ist, dass der Herzinfarkt mit 37% (im Vergleich zu 32% bei Männern) die häufigste Todesursache bei Frauen ist.[3]
Exkurs: medical gaslighting
Ein Resultat des Gender Data Gap (oder auch nur ein treuer Wegbegleiter) ist das „medical gaslighting“. Anders als andere Formen von „gaslighting“ (bewusstes Manipulieren) geschieht das medical gaslighting nicht aus einer bösen Absicht heraus. Zum medical gaslighting kommt es vielmehr aufgrund von mangelnden Kenntnissen (auch aufgrund von fehlenden Daten), unterbewussten Vorurteilen (Stichwort „Internalisierung“) gegenüber bestimmten Gruppen oder aufgrund eines „Überlegenheits“-Denkens („Götter in Weiß“).
Von medical gaslighting spricht man, wenn Ärzt*innen die gesundheitlichen Sorgen von Patient*innen kleinreden oder sie ihnen absprechen. Besonders betroffen sind hierbei Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Erkrankungen mit diffusen Störungsbildern. Ein gehäuftes Vorkommen von medical gaslighting lässt sich auch bei marginalisierten Gruppen wie Älteren, ethischen Minderheiten, queeren Personen und eben auch Frauen beobachten. So werden manche Symptome bei Frauen schneller als „psychisches Problem“ abgetan als dies zum Beispiel bei Männern der Fall wäre.[4]
Viva la Klitoris!?
Zu guter Letzt gibt es auch noch den „Orgasm Gap“ der aufzeigt, dass es in Bezug auf die Möglichkeit einen Orgasmus zu erleben große Unterschiede gibt hinsichtlich des Geschlechts und der sexuellen Orientierung. Während mehr als 90 Prozent der Männer beim Sex zum Höhepunkt kommen, sind es bei den (heterosexuellen) Frauen gerade einmal 65 Prozent.[5]
Gründe hierfür können zum Beispiel der fehlende Zugang vieler Frauen zum eigenen Körper und dessen lustvollem Erleben sein, die nach wie vor bestehende Scham rund ums Thema weibliche Selbstbefriedigung oder auch die jahrzehntelange Vernachlässigung eines für die weibliche Lust zentralen Körperteils: der Klitoris.
Womit wir wieder bei den zu Beginn gestellten Fragen wären.
Warum gibt es kaum ein Schulbuch, in dem das weibliche Geschlechtsorgan vollständig genannt und gezeigt wird? Und das betrifft nicht nur Schulbücher, sondern auch zum Teil anatomische Lehrbücher, von denen manche erst seit 2022 eine umfassende Darstellung der Klitoris enthalten[6]. Lehrbücher die unsere zukünftigen Mediziner*innen für das Studium des menschlichen Körpers heranziehen.
Und somit schließt sich der Kreis von einer mangelnden Bildung hin zu mangelhafter Forschung und dem mangelhaften Umgang mit Frauengesundheit!
Glücklicherweise blieb das Aufzeigen dieser Gaps nicht ohne Folgen und es findet langsam ein Umdenken statt. Neue Fachgebiete wie das der Gendermedizin haben die Zielsetzung das bestehende Ungleichgewicht in der Medizin zu erforschen und in weiterer Folge auszugleichen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Unsere Bevölkerung ist divers und eine verantwortungsvolle Medizin hat die Aufgabe, dies auch abzubilden.
Frauen und andere marginalisierte Gruppen verdienen die gleiche Behandlung wie (weiße) Männer, und zwar eine fachgerechte Behandlung von Beschwerden, die vorurteilsfrei bewertet werden. Die Betrachtung einer realen Person – und nicht einer fiktiven „Norm“, die jeder und jedem übergestülpt wird – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Ethnie.

AUTORIN
Projektleitung Sexualpädagogik
Quellen:
[1] https://www.endometriose-vereinigung.de/diagnose/
[2] https://www.roteskreuz.at/kaernten/news/aktuelles/herzinfarkt-bei-frauen-als-unerkannte-gefahr
[3] https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/2024/news-im-maerz-2024/frauen-leben-deutlich-laenger-in-schlechter-gesundheit-als-maenner/
[4] Ng I., Tham S., Deep Singh G., Thong C. & Teo D. B. (2024). Medical Gaslighting: A New Colloquialism. The American Journal of Medicine. https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2024.06.022
[5] https://www.derstandard.at/story/2000106047811/orgasm-gap-mit-technik-zum-hoehepunkt
[6] https://www.nzz.ch/wissenschaft/wie-vulva-und-klitoris-aus-den-lehrbuechern-verschwanden-ld.1704611